
So entwickelt Repower das Stromnetz der Zukunft
Das Schweizer Stromnetz befindet sich in einer herausfordernden Phase, weil es sich gerade stark wandelt. Die Schlagworte sind bekannt: Digitalisierung, Dezentralisierung und Dekarbonisierung.
Doch was bedeutet das in der Praxis? «Das konventionelle Stromnetz wurde von den grossen Kraftwerken hin zu den kleinen Verbrauchern gedacht», erklärt Simon Nay, Teamleiter Planung Hochspannungsnetz bei Repower. Es sei nicht darauf ausgelegt, auf den untersten Netzebenen grosse Strommengen aufzunehmen oder abzugeben. «Ebendies ist aber künftig nötig, weil immer mehr Solaranlagen Elektrizität einspeisen und immer mehr Wärmepumpen und Elektroauto-Ladestationen Strom beziehen.»
Das Schweizer Stromnetz
Es gibt sieben Ebenen mit unterschiedlicher Spannung im hiesigen Stromnetz. Auf den Ebenen 2, 4 und 6 wird Stroms auf die nächsttiefere respektive nächsthöhere Ebene transformiert. Die Übertragung des Stroms findet auf den Netzebenen 1, 3, 5 und 7 statt:
- Ebene 1: Überregionaler und grenzüberschreitender Stromtransport mit Höchstspannung, Aufnahme der Produktion der grössten Kraftwerke
- Ebene 3: Überregionaler Stromtransport mit Hochspannung, Aufnahme des Ertrags sehr grosser Solaranlagen, Versorgung von Grossverbrauchern.
- Ebene 5: Regionaler Stromtransport mit Mittelspannung, Aufnahme des Ertrags mittelgrosser Solaranlagen.
- Ebene 7: Lokale Stromverteilung mit Niederspannung an Haushalte, Unternehmen, Ladestationen, Aufnahme des Ertrags kleiner Solaranlagen.
Weitere Infos: So funktioniert die Schweizer Stromversorgung
Tiefer Verbrauch im Sommer
Für Repower stellt laut Nay momentan vor allem der Photovoltaik-Zubau eine Herausforderung dar. Ein Grund dafür ist, dass im Kanton Graubünden traditionell deutlich mehr Strom produziert als verbraucht wird. «In der Jahresbetrachtung haben wir ein Badewannen-Verbrauchsprofil», sagt Nay. Im Winter – Anfang und Ende Kalenderjahr – sei der Verbrauch hoch, auch wegen des Tourismus. «Im Sommer hingegen benötigen wir nur wenig Strom, weil es in den vorwiegend ländlichen Verteilnetzregionen von Repower kaum grosse Industriebetriebe gibt.» Eingespeister Solarstrom lässt sich daher nur bedingt vor Ort nutzen, sondern muss mehrheitlich wegtransportiert werden.

Dafür verstärkt Repower das Netz auf Stufe Quartier bereits jetzt teilweise gezielt mit neuen Leitungen und Transformatoren. Der Blick des Energieversorgers richtet sich aber immer auch auf die Zukunft. Wie sieht das Stromsystem in 20 oder 30 Jahren aus? Welche Ausbauschritte und Anpassungen sind nötig?
Engpässe finden
Antworten auf diese Fragen finden Stromnetzbetreiber mit einem strategischen Planungsinstrument namens «Zielnetzplanung». Es dient dazu, die Anforderungen ans künftige Stromnetz zu bestimmen und die dafür notwendigen Massnahmen zu ermitteln. Für die beiden obersten Netzebenen, also die internationalen und nationalen Leitungen, gibt der Bund die Daten für die Planung vor.
Von dieser Grundlage werden die Zielnetze für 2030 und 2040 abgeleitet. Dazu wird das gesamte Netz simuliert: Es gibt sogenannte Stresstests, also das Simulieren von Netzausfällen und Überlastungen, um Engpässe im Stromnetz zu identifizieren. Werden problematische Stellen ermittelt, behebt man sie nach dem «Nova»-Prinzip: Netz optimieren, verstärken, ausbauen. Gebaut wird also nur, wenn es keine andere Lösung gibt.
Zielnetzplanung – was ist das?
Mit dem Begriff «Zielnetzplanung» ist ein Planungsprozess im Betrieb von Stromnetzen gemeint. Zuerst wird ein Zielnetz definiert, also der angestrebte oder geforderte Zustand des Stromnetzes zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft. Dazu berücksichtigt man die Entwicklung von Verbrauchern und Erzeugern, die technische Weiterentwicklung und weitere Aspekte.
Aus dem Zielnetz werden anschliessend verschiedene Varianten für den Ausbau des Stromnetzes abgeleitet, um sie miteinander vergleichen und schliesslich einen konkreten Ausbauplan entwerfen zu können. Relevante Kriterien sind dabei zum Beispiel die technische Machbarkeit, die Wirtschaftlichkeit, die Sicherheit oder auch die Auswirkungen auf die Umwelt. Die Zielnetzplanung ist für Stromnetzbetreiber also ein wichtiges Instrument für die Entwicklung ihrer Netze.
Unbekanntes Terrain
Dieselbe Maxime verfolgt Repower bei den unteren Netzebenen. Die Datengrundlage ist in diesem Bereich aber wesentlich dünner als auf nationaler Ebene. «Die Netzebene 5 kennen wir einigermassen», erläutert Nay. Netzebene 7 hingegen, also das lokale Verteilnetz, sei eine Terra incognita. «Bis alle Produzenten und Verbraucher mit einem Smart Meter ausgerüstet sind, fehlen uns exakte Daten zu den Lastflüssen.»
So weiss Repower zum Beispiel bis anhin nicht genau, wann welcher Verbraucher wie viel Strom bezieht. Zeitlich hochaufgelöste digitale Daten sollten künftig Abhilfe schaffen und genauere Simulationen der Erträge und Verbräuche ermöglichen.

Die Krux mit dem Solarexpress
Eine besondere Herausforderung für die derzeitige Zielnetzplanung im Kanton Graubünden ist der «Solarexpress». Diese 2022 vom Bundesparlament lancierte Initiative will den Bau grosser Solaranlagen in den Alpen vereinfachen. In der Anfangsphase der Initiative wurden einige riesige Solarprojekte vorgestellt. «Für die Zielnetzplanung sind Photovoltaikanlagen dieser Grösse sehr relevant, weil sie mit einer hohen Leistung ins Netz einspeisen», sagt Nay. «Wir mussten deshalb die Zielnetzplanung teils stark überarbeiten.»
Inzwischen wurden jedoch viele der Solarexpress-Projekte gestoppt oder redimensioniert. In der Surselva beispielsweise gab es Projekte für mehrere Anlagen, die ursprünglich zusammen eine Leistung von 120 MW erreichen sollten – heute sind noch 50 MW vorgesehen. «Durch den alpinen Zubau verdoppelt sich die Einspeiseleistung in der Surselva nahezu, der Verbrauch hingegen bleibt weitgehend gleich», sagt Nay. «Das macht sich auch auf den höheren Netzebenen bemerkbar, weil sich dort der Leistungsfluss erhöht.»
Spannungserhöhung geplant
Bei Repower umfasst die aktuelle Zielnetzplanung nebst dem lokalen Photovoltaikzubau und den Solarexpress-Projekten auch weitere Entwicklungen. «Im Gebiet Rheintal/Zizers/Landquart rechnen wir beispielsweise mit einer allgemeinen Zunahme des Verbrauchs», führt Nay aus. Die Gründe dafür sind vielfältig: Immer mehr Leute kaufen ein Elektroauto, bestehende Heizsysteme werden durch Wärmepumpen ersetzt, ansässige Industriebetriebe erweitern ihre Kapazitäten und Logistikunternehmen setzen vermehrt auf Elektro-LKW. «Um die Netzinfrastruktur rechtzeitig auf die neuen Lastprofile anzupassen, planen wir in dieser Region eine Spannungserhöhung von 10 auf 20 kV», konkretisiert Nay.

Akteure spannen zusammen
Ein wichtiger Aspekt bei der Weiterentwicklung des Stromnetzes ist die Koordination mit anderen Akteuren im Infrastrukturbereich, insbesondere mit dem Kanton und den Gemeinden. Es sei sogar gesetzlich vorgeschrieben, dass man bei der Zielnetzplanung zusammenarbeite, erläutert Nay. Mit dem Kanton koordiniert Repower die regionale Planung, mit den Gemeinden steht man in engem Austausch für die lokale Umsetzung. «Ausgehend vom definierten Zielnetz kontaktieren wir jene Bauämter, auf deren Gebiet wir einen Ausbau vorgesehen haben», erklärt Nay. «Wir klären mit ihnen, ob zum Beispiel neue Werkleitungen geplant sind.» Ist dies der Fall, wird geprüft, ob Repower seine neuen Leitungen mitverlegen kann.
Eine etablierte Zusammenarbeit besteht ferner mit Bahnunternehmen wie der Rhätischen Bahn, denn auch bei deren Trassen lassen sich oft gemeinsame Leitungen realisieren. Die Zusammenarbeit senkt nicht nur die Kosten für den Ausbau, sondern ist auch umweltfreundlicher, weil weniger neue Anlagen realisiert werden müssen und damit der Ressourcenverbrauch sinkt.